Mein Leben mit SMA
Frühe Kindheit und Diagnose
Ich erlebte eine ganz normale frühe Kindheit ohne irgendwelche Auffälligkeiten. Als ich langsam anfing zu laufen wurde ich aber immer sehr schnell müde. Oft bin ich auch nur so hingefallen, ohne dass ich versucht hätte, mich zu stützen. Beim Aufstehen kletterte ich stets an mir hoch. Daraufhin wandten sich meine Eltern an den Arzt. Im November 1985, als ich 2 ½ Jahre alt war, wurde mir eine Gewebeprobe entnommen (Muskelbiopsie). Es wurde eine neurogene Schädigung festgestellt, passend zur spinalen Muskelatrophie Typ III a.
Ich war damals noch zu klein, um das zu realisieren, aber für meine Eltern war es natürlich ein Schock. Mit so was rechnet niemand. Ich habe dann kurz vor dem Kindergartenalter begriffen, dass mit meiner Gesundheit nicht alles beim besten ist.
Veränderungen im Alltag
Da ich noch so jung war, hat sich durch diese Diagnose jedoch nichts grossartig geändert. Die einzige wesentliche Änderung waren damals die Abende: Nach bekannt werden der Krankheit und diversen Abklärungen ging ich erstmals zur Physiotherapie. Meine Mutter schaute sich die Übungen ab, und fortan machten wir jeden Abend (ausser Sonntags) zu Hause intensive Physiotherapie. Für meine Eltern hat sich aufgrund dieser Diagnose die Familienplanung geändert: Bei einer mit 25% recht hohen Wahrscheinlichkeit, dass ein Geschwister dieselbe Krankheit haben könnte, entschieden sie sich, keine weiteren Kinder zu haben.
Zum Kindergarten und zur Primarschule konnte ich noch zu Fuss gehen, jedoch nur den Hinweg. Für den Rückweg holten mich meine Eltern immer mit dem Auto ab, da ich zu wenig Kraft hatte, den Schulweg vier mal am Tag zu gehen. Während der Primarschulzeit hatte ich eine mittlere und eine grössere Operation, welche für die Muskulatur natürlich Rückschläge bedeuteten. Ich konnte diese aber doch immer wieder soweit aufbauen, dass es erst mit Krücken und dann wieder ganz ohne Hilfen ging. Zur Orientierungsschule (Sekundarschule im Wallis) war dann der Fussweg zu weit. Hier fuhren mich meine Eltern jeden Tag zwei mal hin und zwei mal zurück. Für sie selber bedeutete dies, acht Mal am Tag dieselbe Strecke zu fahren.
Wenn ich ein Fazit über die aufgetretenen Änderungen ziehen muss, komme ich zum Schluss, dass sich sich der Alltag soweit eigentlich gar nicht gross geändert hat. Er war einfach von Anfang an anders, als bei den gesunden Mitmenschen.
Gesundheitliche Folgen und Rückschläge
Seit der Primarschulzeit hat sich eine Skoliose entwickelt, welche in der zweiten Orientierungsschule so massiv wurde, dass sie operiert werden musste. Es bestand ansonsten das Risiko, dass die Wirbelsäule angefangen anfing, auf die Lunge zu drücken und sich somit auf deren Kapazität ausgewirkt hätte. Ohne die Krücken ging’s danach nicht mehr, wobei ich nur noch wenig Gewicht mit den Beinen und viel mehr mit den Armen trug. Ein Jahr später wurde ich in der Schule versehentlich umgeworfen und brach mir dadurch den Arm. Im selben Jahr folgten zwei Beinbrüche durch hinfallen. Die Muskulatur hatte sich dermassen verschlechtert, dass ich keine Sicherheit mehr beim Gehen hatte. So bewegte ich mich fortan im Rollstuhl fort.
Das leben geht (oder rollt?) weiter, auch im Rollstuhl
Gewissermassen hat sich durch den Rollstuhl mein Alltag verbessert: Ich konnte im Rolli weitaus grössere Distanzen mit weniger Anstrengung und mit einer höheren Sicherheit zurücklegen, als zu jener Zeit, zu der ich noch Fussgänger war.
Der Übergang ins Berufsleben
Nachdem auch die Orientierungsschule geschafft war, sollte es nun ins Berufsleben gehen. Beruflich wollte ich zuerst eine kaufmännische Ausbildung absolvieren. Informatiker kam für mich weniger in Frage, da ich eigentlich nicht nur rein technisch arbeiten wollte. Ausserdem wäre das für mich wohl ein zu stressiger Beruf gewesen.
Dann ergab sich jedoch die Möglichkeit, eine Lehre als Mediamatiker (Berufsbeschreibung unter e-business) zu beginnen. Ein damals ganz neuer Beruf, der zwischen dem Kaufmann und dem Informatiker angesiedelt ist. Erfreulicherweise bestand ich die Aufnahmeprüfung und ich bekam sogleich meine erste Lehrstelle in der Mediathek Wallis (ehemals Kantons- und Stadtbilbiothek) in Brig-Glis.
Die Gewerbeschule in Visp stellte sich als ziemliche Herausforderung heraus: Aufgrund der nun wesentlich grösseren Strecke bis zu Hause, blieb ich am Mittag in der Schule und hatte somit keine Möglichkeit mehr, mich zu erholen und etwas auszuruhen, wie das noch in der Primar- und Sekundarschulzeit möglich war. In Kombination mit der allabendlichen Physiotherapie war die Lehre vom schulischen Aspekt her sehr fordernd. Letztenendes haben sich die drei Jahre harter Einsatz gelohnt und so war ich nun gelernter Mediamatiker.
Ausbildung zu Ende und nun?
Vor Ende der Lehrzeit begann die nächste Herausforderung: Die Stellensuche. Als Rollstuhlfahrer im Kanton Wallis nicht wirklich einfach… Nach mehreren – zugegenermassen fast erwarteten – Absagen kam ein Lichtblick. Und der war zeitig. Zu jenem Zeitpunkt hatten nämlich bereits die letzten zwei Monate im Lehrbetrieb begonnen. Ich habe bis dahin schon vor einiger Zeit angefangen in PHP zu programmieren und der grösste ISP im Oberwallis suchte einen Programmierer.
Viel Programmiererfahrung hatte ich natürlich noch nicht und Leute mit entsprechender Erfahrung arbeiten eher in der Deutschschweiz. So absolvierte ich noch einen PHP-Kurs in Zürich und begann meine Arbeit bei der BAR Informatik, wo ich noch heute arbeite. Anfänglich gehörte zu meiner Tätigkeit primär die Erstellung von dynamischen wie auch statischen Websites mit dem firmeneigenen CMS FinishWeb. Dazu kamen später Verkaufsberatung für PCs, Laptops, Server und Netzwerke sowohl für Private wie auch für KMUs. Ebenso war ich im Support sowie gelegentlich in administrativen Bereichen tätig.
Selber Auto fahren
In der Zwischenzeit ist meine Gesundheit relativ stabil geblieben. Ich hatte auch keine OPs mehr. Soweit konnte ich mich nun ziemlich glücklich schätzen: Einen tollen 100% Job in der IT-Branche in Brig-Glis und eine halbwegs stablie Gesundheit – was will man mehr? Ich wollte mehr…
Zu diesem Zeitpunkt wohnte ich noch bei den Eltern in Niedergesteln und das blieb noch eine Weile so, da es zur damaligen Zeit noch keinen Assistenzbeitrag gab und somit ein selbstständiges Wohnen für mich nicht möglich war. So war es mir sehr wichtig, das Autofahren zu erlernen, damit ich selbstständig zur Arbeit und wieder nach Hause fahren konnte. Nach vielen Abklärungen bezüglich der Gesundheit, einigen Fahrstunden und dem Kauf und entsprechenden Umbau eines passenden Autos schaffte ich die Fahrprüfung im September 2003 auf Anhieb.
Die eigene Wohnung
Die Jahre zogen ins Land und meine Gesundheit blieb – gesamthaft betrachtet – trotz meines 100% Pensums relativ stabil. Auch wenn sich über die Jahre ein gewisser Kraftrückgang doch bemerkbar machte.
Mit meinen Eltern verstand ich mich sehr gut und dennoch wuchs in mir der Gedanke, in naher Zukunft alleine wohnen zu können. Da ich in einigen alltäglichen Dingen auf ein wenig Hilfe angewiesen bin und die Finanzierung entsprechender Assistenzpersonen lange unklar bzw. durch die Hilfslosenentschädigung nur bedingt gedeckt war, zogen aber noch einige Jahre ins Land. Als dann der zuvor in einem Pilotprojekt angebotene Assistenzbeitrag im Rahmen der IVG-Revision 6a auf den Januar 2012 definitiv eingeführt wurde, gewann das Thema für mich wieder an Aktualität: Die ganz konkreten Bemühungen für eine Mietwohnung im März 2013 fruchteten letztlich im Entscheid, mit der Wohnung noch etwas zu warten und dafür den lang gehegten Traum einer Eigentumswohnung zu erfüllen. Ein entscheidendes Ereignis in meinem Leben. Die damit verbundenen Aufwände für Sitzungen und Abklärungen waren nicht immer einfach und oft – auch zusammen mit der Arbeit – sehr belastend.
Doch inzwischen habe ich auch das geschafft: Seit Ende August 2014 wohne ich nun alleine in meiner brandneuen Eigentumswohnung an schönster und zentraler Lage in der Oberwalliser Stadtgemeinde Brig-Glis. Dank der guten Planung führe ich trotz meiner körperlichen Behinderung in meiner Wohnung ein selbstbestimmtes Leben. Zwei Mal die Woche besucht mich der Physiotherapeut und für gelegentliche Unterstützung zwischendurch ist auf mein persönliches Assistenz-Team stets Verlass.
Berufliche Weiterentwicklung
Auch beruflich hat sich in all den Jahren bei mir einiges getan. So bin ich inzwischen seit weit mehr als zwanzig Jahren in der BAR Informatik AG tätig und – nicht ganz ohne Stolz – zu einer festen Grösse in der kleinen Unternehmung geworden. Allerdings musste ich bisweilen auch lernen, mal abzuschalten und nicht übermässig in Überstunden zu versinken – mir selber und vor allem meiner Gesundheit zu liebe. Nach wie vor arbeite ich 100%, teils im Geschäft und teils im Home-Office. Bei meiner Tätigkeit konzentriere ich mich gänzlich auf den Bereich Websites und Hosting. Dazu gehöret die Realisierung von Websites mit dem CMS WordPress sowie das Bereitstellen des Hostings. Ebenfalls bin ich zuständig für das entsprechende Offertwesen, die Kundenbetreuung und Projektleitung bei der Erstellung umfangreicher Websites. Als langjähriger Mitarbeiter bin ich seit vielen Jahren auch Mitaktionär der Firma.
Gen-Therapie ab 2021
Im Jahre 2021 habe ich mit der Gen-Therapie Spinraza begonnen. Das extrem teure Medikament wurde im Jahr zuvor in der Schweiz erstmals kassenpflichtig. Im ersten Jahr wurden mir sechs Dosen per Lumbalpunktion unter CT verabreicht, in den Jahren danach jeweils drei. Die Therapie muss lebenslang durchgeführt werden. Den enormen Kosten von rund Fr. 85’000.- pro Dosis steht die Stabilisierung der Behinderung bis hin zu leichten Verbesserungen der Kraft als grosser Gewinn gegenüber.
Letztes Update: 22. Oktober 2024